Horst "Hotte" Kriegel bewacht aus Scham über
seine Heimatstadt Hamburg die Flüchtlinge in der St-Pauli-Kirche.
(Foto: DPA)
Wenn Hotte wütend ist, geht
die Welt um ihn herum in Deckung. Und Hotte ist verdammt wütend in
dieser Nacht, fast 1.00 Uhr, im Oktober, vor der Hamburger
St.-Pauli-Kirche. Drinnen brennt Licht und es lässt sich nicht
abschalten, weil niemand weiß, wer es wie eingeschaltet hat. Es ist
Schlafenszeit für die afrikanischen Flüchtlinge, die in der Kirche
Zuflucht gefunden haben und die der Türsteher Horst "Hotte" Kriegel seit
vier Monaten beschützt. Aber so wird das nichts.
Hotte verschwindet in der Kirche, kommt zurück, flucht
weiter und marschiert wieder rein. Zwei Helfer tauschen einen Blick.
Zehn Minuten später hat der Hüne das Problem gelöst - einfach mal alles
durchprobiert - und sitzt in seinem Gartenstuhl, dreht sich eine
Zigarette, Gesichtszüge entspannt. Es geht ja nur darum, dass die Jungs
in Frieden schlafen können.
Seine Schützlinge sind die "Lampedusa-Flüchtlinge", die meisten kommen über Libyen aus Ghana und Mali. Männer, die Angst vor Hubschraubern haben, weil sie an den Krieg erinnern, erzählt er. Männer, die in Panik geraten, wenn sie von Polizisten an eine Wand gestellt werden, dann eingesperrt und befragt. Ein Zimmer, ein Deutschkurs und Liebe, sagt Hotte. Das fehlt ihnen zum guten Leben. "Hamburg verschwendet ein riesengroßes Potenzial", findet er. "Die machen Jagd auf die Jungs. Ich schäme mich für diese Stadt", sagt er mit Blick auf die Polizeikontrollen der vergangenen Tage.
Er patrouilliert regelmäßig um die Kirche, verscheucht Betrunkene, Neugierige, einmal zwei Kokser aus dem Zelt der Flüchtlinge. Es regnet ein wenig in dieser Nacht, und im Hafen jault eine Sirene. Sonst ist alles ruhig. Hotte öffnet das Zelt, hält die Plane hoch. Drinnen: zwei Kickertische, Fotos aus der Heimat und aus Hamburg mit lachenden Gesichtern, selbstgezimmerte Holzbänke der Flüchtlinge, gemalte Bilder - eine Kirche in Schwarz-Rot-Gold.
Anfangs
dachte er, die Flüchtlinge würden in Hamburg bedroht. Hotte hörte
davon, dass sie in der Kirche leben, dass sie sich bedroht fühlen. Er
sprach mit Pastor Sieghard Wilm, dann baute er sich vor der Kirche auf,
von Mitternacht bis zum Morgen. Er ging nach Hause, schlief ein paar
Stunden und kam wieder. Das war im Sommer. Hotte ist noch da. Nicht in
jeder Nacht, aber fast, sitzt er in seiner Hütte und wacht über den
Schlaf der jungen Afrikaner. Den Rest erledigt die "Doodle-Gang",
handverlesene Helfer, die an Hottes Seite, seltener an seiner Stelle,
Position beziehen.
Bedrohungen gibt es nicht. "Vielleicht weil wir hier sind, vielleicht auch nicht", er zuckt mit den Schultern, Gesicht reglos. Jedenfalls bleibt er. Warum eigentlich? "Es ist das Beste, das ich je getan habe." Bei Hotte heißt das was. Er hat Maßanzüge verkauft, irgendwann Ende der 70er Jahre. "Abends hab ich dann meine erste Tür gemacht." Er verkaufte Autos und Schmuck, er fuhr Kurier, er entwarf ein Café und ließ es auch bauen, er zog Touristen beim Billard ab. Er vermarktete Künstler, er tourte durch Europa. Die Flüchtlinge, sagt er, erinnern ihn daran, wie viel Glück er habe. "Eine Lektion in Demut."
Zurzeit verdient er sein Geld mit Sicherheit. Er passt auf Leute auf, die es sich leisten können und die es verdient haben. Manche haben es auch nur verdient, wie die Flüchtlinge, wie Opfer von Stalkern. "Das Leben ist eine Mischkalkulation."
Und sonst so? Hotte fährt Motorrad, einen schweren BMW-Tourer, seine große Leidenschaft. "Keine Familie, keine Frau, sonst ginge das hier gar nicht." Eine Frau hätte er aber gern wieder. Und eine neue Kuscheldecke, aber eine richtige, "Kamelhaar aufwärts". Und wenn er schon dabei ist, sich Dinge zu wünschen: "Die Hamburger könnten Patenschaften für Flüchtlinge übernehmen. Oder ihnen ein Zimmer geben. Das sind gute Jungs."
Breite Schultern, Zigarette, Taschenlampe: Hier kommt niemand vorbei
Hotte passt auf die Flüchtlinge auf. Er schlichtet Streit, schließt ihnen das Eisentor auf und hinter ihnen wieder zu, kontrolliert die "Clubausweise". Er taxiert die Neugierigen am Eisentor des Kirchenplatzes, beobachtet Passanten. Er behält die Autos im Blick. 55 Jahre alt, ziemlich groß, Glatze, großer Kopf und dicker Hals auf breiten Schultern, Zigarette, Taschenlampe. Hier kommt niemand vorbei.Seine Schützlinge sind die "Lampedusa-Flüchtlinge", die meisten kommen über Libyen aus Ghana und Mali. Männer, die Angst vor Hubschraubern haben, weil sie an den Krieg erinnern, erzählt er. Männer, die in Panik geraten, wenn sie von Polizisten an eine Wand gestellt werden, dann eingesperrt und befragt. Ein Zimmer, ein Deutschkurs und Liebe, sagt Hotte. Das fehlt ihnen zum guten Leben. "Hamburg verschwendet ein riesengroßes Potenzial", findet er. "Die machen Jagd auf die Jungs. Ich schäme mich für diese Stadt", sagt er mit Blick auf die Polizeikontrollen der vergangenen Tage.
Er patrouilliert regelmäßig um die Kirche, verscheucht Betrunkene, Neugierige, einmal zwei Kokser aus dem Zelt der Flüchtlinge. Es regnet ein wenig in dieser Nacht, und im Hafen jault eine Sirene. Sonst ist alles ruhig. Hotte öffnet das Zelt, hält die Plane hoch. Drinnen: zwei Kickertische, Fotos aus der Heimat und aus Hamburg mit lachenden Gesichtern, selbstgezimmerte Holzbänke der Flüchtlinge, gemalte Bilder - eine Kirche in Schwarz-Rot-Gold.
„Die machen Jagd auf die Jungs. Ich schäme mich für diese Stadt“
Bedrohungen gibt es nicht. "Vielleicht weil wir hier sind, vielleicht auch nicht", er zuckt mit den Schultern, Gesicht reglos. Jedenfalls bleibt er. Warum eigentlich? "Es ist das Beste, das ich je getan habe." Bei Hotte heißt das was. Er hat Maßanzüge verkauft, irgendwann Ende der 70er Jahre. "Abends hab ich dann meine erste Tür gemacht." Er verkaufte Autos und Schmuck, er fuhr Kurier, er entwarf ein Café und ließ es auch bauen, er zog Touristen beim Billard ab. Er vermarktete Künstler, er tourte durch Europa. Die Flüchtlinge, sagt er, erinnern ihn daran, wie viel Glück er habe. "Eine Lektion in Demut."
Zurzeit verdient er sein Geld mit Sicherheit. Er passt auf Leute auf, die es sich leisten können und die es verdient haben. Manche haben es auch nur verdient, wie die Flüchtlinge, wie Opfer von Stalkern. "Das Leben ist eine Mischkalkulation."
Und sonst so? Hotte fährt Motorrad, einen schweren BMW-Tourer, seine große Leidenschaft. "Keine Familie, keine Frau, sonst ginge das hier gar nicht." Eine Frau hätte er aber gern wieder. Und eine neue Kuscheldecke, aber eine richtige, "Kamelhaar aufwärts". Und wenn er schon dabei ist, sich Dinge zu wünschen: "Die Hamburger könnten Patenschaften für Flüchtlinge übernehmen. Oder ihnen ein Zimmer geben. Das sind gute Jungs."
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