Doch ist Susanne
Müller die typische Hartz-IV-Empfängerin? Jeder dritte Deutsche würde
wohl zustimmen: 37 Prozent sind davon überzeugt, dass Hartz-IV-Empfänger
gar nicht arbeiten wollen, ergab eine Allensbach-Umfrage.
Heinrich Alt,
der für die Grundsicherung zuständige Vorstand der Bundesagentur, sieht
das anders: "Wir reden hier über Einzelfälle, über ein Randphänomen",
sagte Alt der "Welt". Die Wahrheit sei weit davon entfernt.
"Meiner Meinung
nach gibt es nur wenige Menschen, denen es ohne Arbeit gut geht. Und das
meine ich nicht nur unter finanziellen Gesichtspunkten", gibt Alt zu
bedenken. Sicherlich gebe es Menschen, die ein Lebensmodell für sich
entworfen haben, in dem Arbeit nicht vorkommt, räumt der BA-Vorstand
ein. Doch wie groß diese Gruppe ist, darüber gibt es keine Zahlen.
Sicher ist: Nur
die wenigsten von ihnen suchen das Licht der Öffentlichkeit, wie etwa
der Hamburger Arno Dübel, "Deutschlands frechster Arbeitsloser"
("Bild"-Zeitung), der in diversen Talkshows die Vorzüge eines Lebens auf
Stütze pries.
Die meisten Hilfe-Empfänger sind gar nicht untätig
Alles nur Einzelfälle? Dagegen spricht die hohe Zahl von Sanktionen, die die Jobcenter gegen unwillige Hartz-IV-Empfänger aussprechen.
Im vergangenen Jahr waren es mehr als eine Million. Der überwältigende
Teil – 70 Prozent – allerdings nur, weil Hartz-IV-Bezieher Termine im
Jobcenter versäumten. Gemessen an der Gesamtzahl der Leistungsempfänger
ist die Zahl der Sanktionen gering. Die Sanktionsquote liegt gerade
einmal bei 3,4 Prozent.
Drei
Wissenschaftler des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB)
wollten genau wissen, wie es um die Arbeitsbereitschaft der
Hartz-IV-Bezieher bestellt ist. Heraus kam eine Studie mit dem Titel
"ALG-II-Bezug ist nur selten ein Ruhekissen". Sie nutzten dabei
Befragungen von Arbeitslosen.
Danach waren
zwei Drittel der Hartz-IV-Empfänger gar nicht untätig. 30 Prozent
arbeiteten – die meisten davon als Minijobber. Zehn Prozent machten eine
Ausbildung, weitere zehn Prozent absolvierten eine Maßnahme des
Jobcenters, weitere zehn Prozent kümmerten sich um ihre kleinen Kinder
und fünf Prozent pflegten Familienangehörige. Der überwiegende Teil der
Hartz-IV-Bezieher ist daher gar nicht zur Arbeitssuche verpflichtet.
Dabei ist die
Arbeitsmotivation unter den Leistungsbeziehern nach den Erkenntnissen
der Forscher recht hoch – sogar höher als in der übrigen Bevölkerung:
Drei Viertel erklärten, "Arbeit zu haben ist das Wichtigste im Leben".
80 Prozent würden auch dann gerne arbeiten, wenn sie das Geld nicht
brauchen. Allerdings handelt es sich hierbei um die Selbsteinschätzung
der Arbeitslosen.
Schwächer
fallen die Werte denn auch aus, wenn konkret nach Bemühungen um Arbeit
gefragt wird. Nur knapp zwei Drittel gaben an, in den letzten vier
Wochen nach Arbeit gesucht zu haben. Rund 350.000 Hartz-IV-Bezieher
suchten nicht nach Arbeit, obwohl sie dazu verpflichtet waren und gingen
keiner anderen Tätigkeit nach.
Krankheit ist der häufigste Hartz-IV-Grund
Ist das nun der
harte Kern der notorischen Arbeitsverweigerer, die es sich in der
sozialen Hängematte bequem gemacht haben und gar nicht mehr hinaus
wollen? Die Forscher meinen: Nein. Am häufigsten werden gesundheitliche Gründe dafür genannt, dass nicht gesucht wird.
Auch
Entmutigung nach langer, erfolgloser Suche spiele eine Rolle. Dazu passe
auch der Befund, dass die Nichtsucher häufiger in arbeitsmarktschwachen
Regionen, vor allem in Ostdeutschland, zu finden sind.
Viel spricht dafür, dass die meisten dieser 350.000 Menschen ältere und kranke, chancenlose Arbeitslose sind, die resigniert auf die Rente warten.
"Nur eine sehr kleine Minderheit nennt Gründe, die als direkte Hinweise
auf eine fehlende Arbeitsmotivation gedeutet werden könnten", notieren
die Forscher.
Diese
antworteten etwa: "Weil mein Haushaltseinkommen so ausreicht" oder "Weil
meine finanzielle Lage sich nicht verbessern würde". Dass "Arbeitslose
alle faul sind" gehört damit für IAB-Direktor Jürgen Möller zu einem der
"Mythen der Arbeit".
"Der dauerhafte Transferbezug ist entwürdigend"
Auch
BA-Vorstand Alt warnt, "ein Bild von Hartz-IV-Empfängern zu zeichnen,
dass es nicht gibt". Er sagt: "Ich treffe in den Jobcentern Menschen,
die sagen, dass das Herumsitzen sie krank macht, die das Gefühl
vermissen, gebraucht zu werden und die so sehr auf ein Erfolgserlebnis
hoffen", berichtet Alt, der vor 36 Jahren in der Arbeitsverwaltung
begonnen hat.
Arbeit sei mehr
als nur Gelderwerb, betont der Arbeitsmarktpraktiker. "Die meisten
Menschen nehmen einen dauerhaften Transferbezug als entwürdigend wahr",
erklärt er. "Sie wollen einen Beitrag leisten und der eigenen Familie
ein Vorbild sein."
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