28. Januar 2014
von
Christoph Bautz
Kaum war unser Appell
https://www.campact.de/energiewende/appell-2014/teilnehmen/
an Wirtschaftsminister Gabriel draußen, schon hatten wir eine Reaktion
von ihm – zu finden als Post vom 24. Januar auf seiner Facebook-Seite.
Hier nun unsere Antwort (in
kursiv das ursprüngliche Schreiben von Sigmar Gabriel auf Facebook):
–
Sehr geehrter Herr Bundeswirtschaftsminister Gabriel,
herzlichen Dank für Ihre schnelle und ausführliche
Antwort über Ihre Facebook-Seite auf unseren Appell „Energiewende nicht absägen!”. Sie schrieben:
Ich habe in der Vergangenheit hier
auf Facebook mehrfach Campact-Aktionen unterstützt. Diesmal tue ich das
nicht, weil ich finde, dass Campact – vorsichtig formuliert – nicht
sauber mit den Fakten umgeht. Um das zu erläutern, muss ich ein bisschen
ausholen.
Auch wir müssen ein „bisschen ausholen” um Ihnen darzulegen, dass wir sehr wohl „sauber mit den Fakten umgehen”.
Eines möchten wir vorausschicken. Für Sie und die
Sozialdemokrat/innen geht es aus unserer Sicht im nächsten halben Jahr
um eine Richtungsentscheidung:
Stehen Sie weiter zu dem, was Vordenker Ihrer Partei wie Hermann
Scheer und Erhard Eppler einst erdacht und auf den Weg gebracht haben,
die die Energiewende als dynamischen Jobmotor, als gigantische Chance
für die Wirtschaft und als Königsweg aus der Klimafalle begriffen?
Oder stimmen Sie ein in den Chor der Bedenkenträger, die Ängste vor
angeblich explodierenden Kosten und mangelnder Versorgungssicherheit
schüren – und damit der Atom- und Kohlekraft zu einer unverhofften
Renaissance verhelfen wollen? Stellen Sie sich auf die Seite des
Kohleflügels Ihrer Partei, vertreten durch Hannelore Kraft und Dietmar
Woidke?
Das, was Sie mit Ihrem Eckpunktepapier zur Reform des
Erneuerbare-Energien-Gesetzes auf den Tisch gelegt haben, weist leider
eindeutig in die zweite Richtung – und bremst die Energiewende aus.
Deswegen ernteten Ihre Pläne schon in den ersten Tagen den Widerstand
von mehr als 125.000 Bürgerinnen und Bürgern.
Doch jetzt zu den einzelnen Argumenten Ihres Briefes:
In dem Campact-Appell heißt es: „Die
Bundesregierung droht, die Energiewende abzuwürgen. Sie will den Ausbau
von Wind- und Solarenergie deckeln und hohe Hürden für
Bürgerenergie-Projekte errichten.“
Richtig ist: Wir wollen die
Energiewende nicht abwürgen, sondern ihr im Gegenteil neuen Schub geben.
Bei der Solarenergie wird es keine Veränderungen geben. Bei der
Windenergie an Land werden wir Überförderungen abbauen – schließlich
bezahlen ja alle Bürgerinnen und Bürger die EEG-Umlage. Übrigens:
Nichtstun ist keine Alternative. Denn sonst droht die EU-Kommission das
ganze EEG als „ungerechtfertigte Beihilfe“ zu kippen. Und das würde das
Aus für die Energiewende bedeuten.
Der Energiewende „Neuen Schub zu geben” klingt gut – doch die Fakten sehen anders aus. Mit den im
Koalitionsvertrag und in
Ihrem Eckpunktepapier
vorgesehenen Ausbauzielen würgen Sie das bisherige Ausbautempo massiv
ab. 55 bis 60 Prozent Anteil der Erneuerbaren an der Stromversorgung bis
2035 – dies fällt selbst weit hinter die Ausbauziele der schwarz-gelben
Bundesregierung zurück. In
Ihrem Wahlprogramm (S.36) hatten Sie noch 75 Prozent Erneuerbaren-Anteil bis 2030 versprochen.
Sie schreiben, bei der Solarenergie gebe es keine Veränderungen. Dies
ist nicht richtig. Derzeit ist der jährliche Ausbau der Photovoltaik
bei 3,5 GW gedeckelt. Sie wollen ihn noch weiter auf 2,5 GW
herunterfahren. Dabei ist ein Deckel bei der Photovoltaik, der nach der
Windenergie kostengünstigsten regenerativen Energiequelle, nicht
zielführend. Die Kosten für eine Solaranlage sind von Anfang 2007 bis
heute auf ein Drittel gefallen, die Einspeisevergütung sank auf ein
Viertel (s.
http://www.solarwirtschaft.de/fileadmin/media/Grafiken/pdf/kosten_foerderung_solarstrom.pdf).
Sie schreiben, bei der Windenergie an Land Überförderungen abbauen zu
wollen. Dies ist ein richtiges Anliegen – wenn es denn nur um
Überförderungen etwa an küstennahen Standorten ginge. Aber Ihr
Eckpunktepapier geht weit darüber hinaus. Sie beabsichtigen den Ausbau
bei 2,5 GW zu deckeln und das dynamische Wachstum dirigistisch
abzuwürgen. Ausgerechnet heute, wo Windkraft an Land so ausgereift und
preisgünstig ist wie noch nie, soll sie künstlich begrenzt werden.
Zudem kritisieren wir, dass die vorgesehene Kappung der
Einspeisevergütung ab einem Referenzertragswert von 77,5 Prozent droht,
den Ausbau der Windkraft in Süddeutschland fast vollständig zum Erliegen
zu bringen. Und dies, obwohl dort der Strom am dringendsten gebraucht
wird. Statt verbrauchsnah Strom zu erzeugen, müsste dieser über weite
Distanzen aus dem Norden her transportiert werden. Hierfür wären teure
zusätzliche Netzkapazitäten von Nöten.
Einig sind wir uns in der Feststellung: „Nichtstun ist keine
Alternative.” Im nächsten Satz jedoch auf das Beihilfe-Verfahren der EU
zu verweisen, geht an der Realität vorbei. Denn Hauptgrund für die
Einleitung des Verfahrens sind die ausufernden Befreiungstatbestände für
die Industrie, die wettbewerbsverzerrend wirken. Doch hierauf finden
wir in Ihrem Eckpunktepapier keine eindeutige Antwort. Folglich:
Nichtstun ist keine Alternative, aber es kommt eben darauf an, das
Richtige zu tun.
Campact schreibt: „Der Atomausstieg kommt wieder unter Druck.“
Wer mir indirekt unterstellt, ich
hege irgendeine Sympathie für die Atomkraft, kann in den letzten Jahren
eigentlich keine Zeitung gelesen haben. Und was die Kohle angeht: siehe
unten.
Herr Gabriel, wir unterstellen Ihnen nicht, Sympathien für die
Atomkraft zu hegen. Wir befürchten allerdings, dass spätestens 2022 eine
neue Diskussion um Laufzeitverlängerungen beginnen wird, wenn die
Energiewende, so wie von Ihnen vorgesehen, massiv verlangsamt wird. Nach
dem jetzigen Atomausstiegs-Fahrplan sollen 2022 innerhalb von zwölf
Monaten sechs Reaktoren vom Netz gehen. Wenn der Ausbau der Erneuerbaren
viel langsamer als bisher geplant erfolgt, dann wird wieder die Debatte
entstehen, sie noch länger laufen zu lassen. Und genau das wäre die
Folge der von Ihnen ausgebremsten Energiewende.
Campact schreibt: „Gestalten Sie die Energiewende zukunftsfähig und preiswert“.
Genau das habe ich vor. Ein kleiner
Hinweis: Das Prinzip, auf der einen Seite nach niedrigeren Kosten zu
rufen und gleichzeitig alle Kostensenkungen abzulehnen, kommt mir
bekannt vor. So haben in der Vergangenheit manche Lobbyisten
argumentiert. Wenn ich mich richtig erinnere, fand es auch Campact nicht
sonderlich glaubwürdig, wenn die gleichzeitig nach niedrigeren Steuern
und staatlichen Mehrausgaben für Infrastruktur und Bildung gerufen
haben.
Den Zubau bei Solarenergie und Windkraft an Land zu begrenzen,
erzeugt maximalen Schaden bei minimalem Nutzen. Denn diese beiden
Erneuerbaren sind mittlerweile so günstig, dass ein weiterer Ausbau die
EEG-Umlage kaum noch ansteigen lässt. Wenn Sie wirklich Kosten senken
wollen, dann streichen Sie massiv bei den Industrierabatten. Und lassen
Sie die Kohlekraft endlich für ihre Folgekosten aufkommen. Würde
beispielsweise die Klimaschädlichkeit von hohem CO₂-Ausstoß eingepreist,
stiege der Preis an der Strombörse. Für die Erneuerbaren müsste durch
gesunkene Differenzkosten entsprechend weniger EEG-Umlage gezahlt werden
– und die Verbraucherinnen und Verbraucher wären entlastet.
Campact schreibt: „Sorgen Sie dafür,
dass die günstigsten Erneuerbaren Energien, Photovoltaik und Windkraft
an Land, durch verlässliche Rahmenbedingungen dynamisch ausgebaut werden
– möglichst dezentral und in der Hand der Bürger/innen“.
Genau das ist eines der wesentlichen Ziele meiner Reformvorschläge.
Herr Gabriel, mit Ihren Plänen zur EEG-Reform werden Sie das
Gegenteil erreichen. Ihre Reformvorschläge verhindern, dass Erneuerbare
weiter dezentral und in der Hand der Bürger/innen ausgebaut werden:
Durch Ausbaudeckel, verpflichtende Direktvermarktung und
Ausschreibungsmodelle werden Investitionsunsicherheiten für Bürger/innen
und Bürgerenergieprojekte massiv erhöht – und damit steigen die
Risikoaufschläge bei der Finanzierung, sprich die Zinsen für
Bankkredite. Dies macht das Errichten von Anlagen für kleine Akteure zu
riskant.
Die Folge: Die Kleinen werden zugunsten der Großen aus dem Markt
gedrängt. Bürgerenergie-Projekte haben kaum mehr eine Chance, realisiert
zu werden. Doch nur wenn die Bürger/innen sich an der Energiewende
aktiv beteiligen, findet sie auch vor Ort Akzeptanz. Und nur dann
profitieren die Bürger/innen, etwa als Teilhaber/innen von
Bürgergenossenschaften – anstelle von Konzernen und Großinvestoren,
deren Kassen klingeln. Genau das ist die emanzipatorische Kraft einer
Bürger-Energiewende – und diese droht mit Ihren „Reformvorschlägen”
völlig unter die Räder zu kommen.
Campact schreibt: „Sorgen Sie dafür,
dass energieintensive Unternehmen nur dann von ihrem Beitrag zur
Energiewende befreit werden, wenn sie in eine bedrohliche
Wettbewerbssituation geraten“.
Genau das habe ich vor. Seit 10
Jahren werden Industrieunternehmen, die besonders viel Strom verbrauchen
und im internationalen Wettbewerb stehen, von der EEG-Umlage befreit.
Dieses Prinzip will ich beibehalten. Aber ich will dieses Privileg auf
solche Unternehmen beschränken, die aufgrund ihrer Wettbewerbssituation
wirklich darauf angewiesen sind. Denn je mehr Firmen befreit sind, desto
mehr müssen die einzelnen Verbraucher bezahlen.
Wenn zutrifft, was dem Spiegel (Ausgabe 5/2014) zu entnehmen ist,
dann planen Sie, die Befreiung von Industrierabatten auf Unternehmen aus
15 Industriezweigen zu begrenzen. Das wäre nach der inflationären
Ausweitung der Industrierabatte durch die schwarz-gelbe Bundesregierung
ein großer Fortschritt, was wir ausdrücklich begrüßen. Sinnvoll wäre es
allerdings, Befreiungen bei der EEG-Umlage und bei den Netzentgelten an
erhebliche Anstrengungen für mehr Energieeffizienz zu knüpfen.
Campact schreibt: „Sorgen Sie dafür,
dass Kohlekraftwerke für ihre wahren gesellschaftlichen Kosten aufkommen
müssen – über einen funktionierenden Emissionshandel oder eine
CO₂-Steuer.“
Genau dafür setzen wir uns ein. Wir
wollen den Emissionshandel so reformieren, dass der Markt wieder
funktioniert. Heute sind viel zu viele Zertifikate verfügbar – das hat
die Preise ins Bodenlose fallen lassen und ist der Grund für den
gegenwärtigen Boom der Kohlekraft. Wir treten ein für ein europäische
Klimaziel von mindestens 40 Prozent bis 2030 und einen Emissionshandel,
der geeignet ist, dieses Ziel zu erreichen.
Herr Gabriel, wir begrüßen es, dass Sie sich dafür aussprechen, den
Emissionshandel so zu reformieren, dass er wieder funktioniert. Doch
leider erfüllen dies die im Koalitionsvertrag vereinbarten Eingriffe
nicht. Die
vorübergehende Entnahme von 900 Millionen
überschüssigen Verschmutzungszertifikaten wird bei Weitem nicht
ausreichen, den Preis für CO₂ in eine klimapolitisch angemessene Höhe zu
bringen. Nötig ist vielmehr die
dauerhafte Entnahme von
weiteren zwei Milliarden Zertifikaten. Doch derlei Eingriffe und eine
grundlegende Reform werden im Koalitionsvertrag leider explizit
ausgeschlossen.
Daher fordern wir Sie auf, in der EU für eine grundlegende Reform des
Emissionshandelssystems schon vor 2020 einzutreten. Klar ist aber auch,
dass eine tiefgreifende Reform im Konsens mit allen anderen EU-Staaten
schwierig werden wird. Deshalb braucht es auch weitere Maßnahmen. In
Ihrer Zeit als Bundesumweltminister hatten wir ein gemeinsames Treffen
mit Ihrem heutigen Staatssekretär und damaligen DUH-Geschäftsführer
Rainer Baake, um über wirksame Hürden für Kohlekraftwerke zu sprechen:
Mindestwirkungsgrade für Altanlagen, festgelegt im
Bundesimmissionsschutz-Gesetz . Mehr als 30.000 Campact-Aktive hatten
sich seinerzeit dafür ausgesprochen. Sie, Herr Gabriel, fanden das
damals einen sehr spannenden Ansatz.
Herr Gabriel, Mindestwirkungsgrade, CO₂-Emissionsgrenzwerte, eine
CO₂-Steuer – derlei Maßnahmen braucht es jetzt dringend, um der
gegenwärtig wieder ansteigenden Braunkohle-Verstromung Einhalt zu
gebieten. Das ist schon heute national umsetzbar und muss nicht über die
EU implementiert werden. Zudem benötigen wir neben dem Atom- auch einen
Kohle-Ausstiegsplan – so wie dies Ihr Parteifreund Torsten Albig,
Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, letzte Woche forderte.
Also, liebe Campact-Leute: In vielen
Punkten sind wir inhaltlich gar nicht so weit auseinander. Auch deshalb
ist die Behauptung, ich wolle die „Energiewende absägen“, schlicht
absurd. Ich finde: Man sollte auch bei so emotionalen Themen Argumente
austauschen – und nicht auf Verunglimpfungen setzen.
Also, lieber Herr Gabriel: In vielen Punkten sind wir leider doch weit auseinander:
- Ihre Reform bremst den Ausbau der Erneuerbaren Energien aus und
deckelt den Zubau bei den günstigsten Erneuerbaren – Sonne und Wind.
- Ihre Reform ist kostentreibend, nicht kostensenkend: Investitionen
in Erneuerbare werden riskanter, Erneuerbare werden teurer durch
steigende Risikoprämien auf Kredite.
- Ihre Reform bremst die Bürger-Energiewende aus.
- Ihre Reform bietet keine effektive Handhabe gegen steigende
Emissionen durch Kohlemeiler, während flexible Gaskraftwerke stillgelegt
werden.
Gerne führen wir die Debatte mit Ihnen weiter und freuen uns über
eine weitere Antwort, die wir gerne den Unterzeichner/innen des Appells
zugänglich machen. Und wir setzen darauf, dass Sie in der Überführung
des Eckpunktepapiers in ein Gesetz grundsätzliche Veränderungen
vornehmen – sodass die Energiewende wirklich neuen Schub erhält.
Mehr als 125.000 Menschen haben den Appell schon in den ersten Tagen
unterzeichnet. Wir würden uns sehr freuen, Ihnen den Appell öffentlich
überreichen zu können und stehen gerne auch für ein Gespräch zur
Verfügung. Wir bitten Sie, uns in den nächsten Tagen einen
entsprechenden Termin zu nennen.