Was bleibt von einem jungen, kurdischen Menschen der sich mit 23 Jahren
aus einem Fenster stürzt? Aus Verzweiflung und Angst vor Abschiebung, in
einen Staat Türkei, der ihn gefoltert hat und nach seiner Abschiebung
weiter gefoltert hätte.
Ein Platz, der nach ihm benannt wurde und
für dessen Namensgebung sich viele Jahre lang die
Ceaml-Kemal-Altun-Initiative eingesetzt hat.
Ein Platz zum Gedenken, Andenken, sich erinnern und gemeinsam feiern.
Ein sehr schöner und lebendiger Platz. Voller Leben, mit Kindern und Eltern. Ein Platz zum zusammen Leben.
Es gibt nunn mitten in Altona-Ottensen diesen Platz.
Die
Bezirksversammlung hat dieser Namensgebung zugestimmt, nur der Senat in
Hamburg weigert sich diesen Platz auch offiziell so zu nennen.
Macht
aber auch Sinn, denn der erste Bürgermeister, Olaf Scholz, ein
Hardliner, auch in Sachen Hartz-IV, hatte schließlich als zuständiger
Senator in Hamburg einen Brechmittel-Einsatz gegen einen Mitbürger mit
Migrations-Hintergrund zu verantworten, der schließlich zum Tode dieses
Menschen führte.
Hierunter ist ein Bericht aus der TAZ, verfasst von Daniel Bax vom 30.08.2013, dem Todestag von Cemal Kemal Altun.
"Das Gesicht der Asylpolitik
Nie
hat der Tod eines Asylbewerbers solche Reaktionen provoziert wie Kemal
Altuns tödlicher Fenstersprung vor 30 Jahren. Was blieb davon?
BERLIN
taz | Auf einmal hatte die Asyldebatte ein Gesicht. Als sich der
politische Flüchtling Cemal Kemal Altun vor genau dreißig Jahren aus dem
Fenster eines Verwaltungsgebäudes am Bahnhof Zoo in Berlin stürzte,
rief sein Suzid bundesweites Entsetzen hervor.
In dem damaligen
Gerichtsgebäude sollte über die Abschiebung des damals 23jährigen
entschieden werden, der zuvor monatelang in Auslieferungshaft gesessen
hatte. Kemal Altun war als Student in einer linken Gruppierung aktiv und
nach dem Militärputsch aus der Türkei geflohen. Bei einer Auslieferung
an das damalige Putschregime, so musste er befürchten, hätte ihm dort
wegen seiner Mitgliedschaft in einer linken Splittergruppe Haft, Folter
und vielleicht sogar Hinrichtung gedroht. Mit seinem Freitod entzog er
sich diesem Schicksal.
War der Flüchtling einfach nur
psychisch labil gewesen? So wollten es Konservative und die
Bundesregierung damals sehen, die ihn flugs zum "Einzelfall" erklärten.
Oder legte sein Tod nicht einen politischen Skandal offen - den
bürokratischen und letztlich unmenschlichen Charakter des
bundesrepublikanischen Asylsystems, das Menschen an Folterstaaten
auslieferte, denen sie gerade erst entkommen waren?
So sahen es
die politisch Bewegten und menschenrechtlich Engagierten jener Zeit. In
linken und antirassistischen Kreisen wurde Kemal Cemal Altun damit zur
Symbolfigur, ja fast schon zu einem Märtyrer.
Als Biermann zur Gitarre griff
Der
stets ein feines Gespür für populäre Stimmungen besitzende
Balladendichter Wolf Biermann, der sich damals noch als Barde der Linken
verstand, widmete Kemal Altun ein Lied. Und auch der Dramatiker Franz
Xaver Kroetz verfasste ein Gedicht, das zu einer persönlichen Abrechnung
mit dem deutschen Staat geriet. "Du Staat, du deutscher", hebt Kroetz
in seinem Poem an. "Es ist aus zwischen uns". Kemal Altuns Freitod sei
"ein Tod, der an dir kleben bleibt", heißt es weiter in dem Gedicht, das
ganz das Pathos jener Ära atmet und in dem nachdrückliche Verweise auf
die deutsche Vergangenheit nicht fehlen durften.
Wie das Kirchenasyl geboren wurde
Nie
zuvor und nie danach hat der Tod eines Asylbewerbers in Deutschland so
viel Anteilnahme hervor gerufen wie Kemal Altuns tödlicher
Fensterssprung. Dass er wenig später posthum doch noch Asyl
zugesprochenbekam, wurde von vielen als zynische Pointe eines
gefühllosen Bürokratenstaats gesehen. Rund 5000 Menschen zogen damals
bei seinem Trauermarsch über mehrere Kilometer von Kreuzberg bis zum
Stadtrand nach Mariendorf, wo bis heute sein Grab liegt. Kurz darauf
ging aus Flüchtlingsräten, Menschenrechtsgruppen, Kirchen- und
Gewerkschaftskreisen der bundesweite Verband "Pro Asyl" hervor, der sich
bis heute für eine humanere Flüchtlingspolitik einsetzt.
Und
als Reaktion auf das schockierende Ereignis gewährte der Pfarrer Jürgen
Quandt palästinensischen Flüchtlngen aus dem Libanon in der Kreuzberger
Heilig-Kreuz-Kirche das erste Kirchenasyl der deutschen
Nachkriegsgeschichte. Andere folgten seinem Beispiel, und über die Jahre
entstand daraus mit Ärzten, Anwälten und Abgeordneten das Netzwerk
"Asyl in der Kirche", das zahlreiche Abschiebungen zu verhindern half.
Im Moment zählt der Verband auf seiner Homepage bundesweit 31 Gemeinden,
die und vor der Abschiebung schützen.
Ein Platz in Hamburg-Ottensen, ein Denkmal in Berlin
Der
Name Kemal Altuns klingt deshalb bis heute nach. Noch zwei Jahre
später, als Günter Wallraff seinen Bestseller "Ganz unten" heraus
brachte, wollte er seinen Undervocer-Bericht über ein türkisches Leben
am Rande der deutschen Gesellschaft dem prominenten Flüchtling gewidmet
wissen.
In Hamburg-Ottensen und in Kassel wurden sogar
öffentliche Plätze nach Kemal Altun benannt, und in Berlin wurde 1996
unweit vom Bahnhof Zoo ein Denkmal für ihn eingeweiht. Wenn sich am
Freitag, den 30. August, der Todestag des politischen Flüchtlings zum 30
Mal jährt, werden "Pro Asyl" und andere Flüchtlingsorganisationen sowie
der Grünen-Bundestagsabgeodnete Wolfgang Wieland, der damals sein
Anwalt war, an ihn erinnern.
Bedrohungsszenarien und Asylkompromiss
An
der Abschiebepraxis deutscher Behörden änderte der Tod Kemal Altuns
allerdings nur wenig. Und auch Entsetzen darüber flaute mit den
Jahrenab. Allein in den letzten 20 Jahren haben sich mehr als 150
Menschen in der Abschiebehaft das Leben genommen, ohne dass es zu
vergleichbaren Reaktionen wie damals, im August 1983, gekommen wäre.
In
den Neunzigerjahren, als der Krieg auf dem Balkan wieder viele
Flüchtlinge in das kürzlich neu vereinigte Deutschland verschlug,
verhärtete sich die Einstellung vieler Deutscher gegenüber Flüchtlinge
wieder. Ihre Einzelschicksale, mochten sie auch noch so dramatisch sein,
verschwanden hinter dem Bild einer gesichtslosen, von der Mehrheit als
bedrohlich empfundenen Masse. Leitmedien wie Bild und Spiegel schürten
mit plakativen Titelseiten eine bedrohliche "Das Boot ist voll"-Stimmung
und setzten die Politik damit unter Druck.
Am Ende gab die SPD
nach und stimmte dem so genannten "Asylkompromiss" mit Helmut Kohls
schwarz-gelber Koalition zu, mit dem das Recht auf Asyl drastisch
eingeschränkt wurde. Ein Kemal Altun wäre fortan dazu gezwungen gewesen,
in einem der osteuropäischen Länder stellen, über die er einst nach
Deutschland gekommen war, um Asyl zu bitten - so, wie es seitdem viele
Flüchtlinge aus der Osttürkei, dem Irak und Afghanistan müssen, die in
Griechenland oder Italien erstmals ihren Fuß auf den Boden der
Europäischen Union setzen.
Flüchtlingsproteste als Wendepunkt?
Erst
in der letzten Zeit hat sich das Bild von Flüchtlingen in Deutschland
wieder leicht zum Besseren verändert. Die Schicksale hinter den nackten
Zahlen aus dem Bundesinnenministerium werden wieder stärker wahr
genommen. Das liegt zum einen an den Flüchtlingen selbst, die in den
vergangenen Monaten für ihre Rechte auf die Straße gegangen sind und mit
Hilfe von Unterstützern vielerorts Protestcamps- und märsche
organisiert haben.
Zum anderen liegt es aber auch daran, dass
Medien sie stärker selbst zu Wort kommen lassen - so wie die
Talkmasterin Sandra Maischberger, die kürzlich die Deutsch-Somalierin
Khadra Sufi in ihre Sendung zum Thema Asyl lud, damit diese dort über
ihre Flucht aus dem Bürgerkriegsland und ihre Aufnahme in Deutschland
berichten konnte.
Auch der neue Papst Franziskus hat auf der
Insel Lampedusa mit seinem öffentlichen Bittgebet für die ertrunkenen
Flüchtlinge jüngst ein starkes Zeichen der Anteilnahme gesetzt. Aber
auch die aktuellen Schreckensbilder aus Syrien, denen man sich schwer
verschließen kann, dürften ein Umdenken befördert haben. Jedenfalls
haben sich sowohl der SPD-Kandidat Peer Steinbrück als auch der
nordrhein-westfälische CDU-Vorsitzende Armin Laschet jetzt, mitten im
Wahlkampf, dafür ausgesprochen, mehr Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen.
Selbst
Boulevardmedien zeigen sich bei diesem Thema neuerdings ungewohnt
sensibel. Nachdem Asylbewerber kürzlich bei ihrer Ankunft in
Berlin-Hellersdorf von rechten Anwohnern angepöbelt wurden, brachte das
Berliner Springer-Blatt BZ auf seiner Titelseite das Porträt eines
pakistanischen Asylbewerbers mit der suggestiven Frage: "Warum wollt ihr
mich nicht"? Allmählich, so scheint es, bekommen Flüchtlinge in
Deutschland wieder ein Gesicht."
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