Die Fassung erscheint so wie Sibylle sie mir zugesandt hat. Immerhin ist es ein Dokument und soll aufklären, über die Art und Weise wie Politik, im kleinen, funktioniert. Und wie mit unliebsamen Anträgen umgegangen wird.
Diese Art der Politik richtet sich immer gegen die Menschen die davon betroffen sind.
"In
der Bezirksversammlung Altona am 03.09.2013 wird in der Sitzung des Ausschusses
für Soziales, Arbeit, Senioren, Integration und Gleichstellung über den Antrag
der Fraktion DIE LINKE abgestimmt.
Der
Antrag lautet: „Beratungsanspruch auch vor Abschluss von
Eingliederungsvereinbarungen sichern! – keine vertraglichen Pflichten als
Sanktionsgrundlage ohne vorheriges ausführliches Gespräch.“ Hierzu wurde Herr
Goos, der Leiter des Jobcenters Altona, eingeladen. Im Auditorium sitzen einige
Zuhörer_innen, teilweise Betroffene, auch Frau Hannemann ist anwesend.
Herr
Schneider (Fraktion DIE LINKE) erklärt, das Feedback auf den Antrag habe
ergeben, dass der Tonfall des Antrages zu scharf gewesen sei. Dies ergebe sich
jedoch aus dem Tonfall, in dem in den Jobcentern nun mal mit den
Leistungsempfängern gesprochen werde. Er benennt die Richtung des Antrags:
hiermit solle erreicht werden, dass die Mitarbeiter_innen im Jobcenter die
Leute ausreichend informierten, ausserdem die Mitarbeiter_innen rechtlich auf
einem Stand seien, mit dem sie die Leute gut informieren könnten. Die Realität
sei jedoch anders. Hierfür solle eine gemeinsame Regelung gefunden werden, so
dass diese Zustände geändert werden können.
Der
Moderator bittet Herrn Goos um die Definition von „Eingliederungsvereinbarungen
(EGV)“.Herr Goos erklärt, dieser Antrag renne bei ihm offene Türen ein. Er
definiert die EGV: sie seien ein Vertrag, der die Rechte und Pflichten der
Kund_innen und der Mitarbeiter_innen kläre.
Eingliederungsvereinbarungen
seien eine Massnahme mit dem Ziel, Integration in den Arbeitsmarkt zu
erreichen. In diesem Vertrag werden Rechte und Pflichten aufgenommen, z.B.
Pflichten des Jobcenters. Er werde beidseitig unterschrieben, eine
Rechtsfolgenbelehrung sei enthalten. Informierende Gespräche dauerten ein bis
zwei, beziehungsweise ein bis eineinhalb Stunden. Aus dem Auditorium wird sehr
starker Widerspruch laut. Herr Goos fährt fort, dass in den Gesprächen dieser Vertrag
erläutert werde und in der Regel unterschrieben.
Herr
Schneider entgegnet, es werden dreihundert Kunden betreut, bei einer
Öffnungszeit von vier Stunden am Tag. Wenn ein bis eineinhalb Stunden beraten
werde: wie werde informiert und beraten, so dass die Kunden – wie Herr Goos die
Menschen dort bezeichne - dies nach Verständnishorizont jeweils verstehen
könnten? Die Leute gelten dort übrigens absolut nicht als „Kunden“, sondern
würden wie Bittsteller behandelt. Er könne übrigens einige Geschichten aus der
Arbeitswelt dort erzählen, er habe z.B. die Information, dass in manchen Fällen
die EGV hin- und hergesandt werde, obwohl eigentlich darüber zu verhandelt
werden müsste. Viele Leitstungsempfänger_innen sitzen zudem bei den
Mitarbeiter_innen am Schreibtisch und unterschreiben, weil sie nicht aufgeklärt
werden, ausserdem untergeordnet seien. Gegen den Verwaltungsakt könne man
Widerspruch einlegen; es wäre wünschenswert, dass es eine Regelung gebe, durch
die den Kunden das Ausmass ihrer Unterschrift deutlich werde. Er kenne Fälle,
in denen Eingliederungsvereinbarungen mit Menschen abgeschlossen werden, die
weder lesen noch schreiben können, dies geschehe wirklich und tatsächlich: er
habe hierfür Nachweise!!!
Der
Moderator sagt, hier sollen keine Lügen unterstellt werden. Herr Schneider
erwidert, Herr Goos habe aber doch dieselben Informationen und behaupte dennoch
etwas anderes. Der Moderator spricht eine Rüge aus.
Herr
Goos entgegnet, hier werden einige Tatsachen durcheinandergebracht. Die
Vermittler betreuen 300 Kunden über eine Verteilung von zwei bis drei Monaten,
es seien also keine 300 Kunden im Monat; diese Aussage sei also nicht korrekt.
Es sei ebenfalls nicht korrekt, dass ohne persönliche Kontakte EGV
unterschrieben würden. Der Vermittler finde mit dem Kunden gemeinsam einen Weg.
Nur wenn ein Kunde alle Maßnahmen verweigere, komme es dazu, dass eine EGV
unterschrieben werden solle, aber auch das werde individuell abgesprochen. Die
Bezahlung habe nichts zu tun mit EGV. Kernpunkt des Antrages sei eine
Sanktionsgrundlage. Wieviel Sanktionen gebe es? 3,8% sei die Sanktionsquote.
Diese entstehe nur dadurch, dass Kunden nicht zu Beratungsterminen erscheinen.
Zum Thema Analphabetismus: es gebe Mitarbeiter, die verschiedenste Sprachen
sprechen – Russisch, Spanisch...und so weiter. Kundenorientierung und
entsprechende Dienstleistungen seien vorhanden. Dass Auskünfte vorenthalten
werden, sei nicht richtig, auch dass Leute genötigt werden, sei nicht korrekt.
In 99% der Fälle werde ausgiebig darüber gesprochen.
Es
wird die Frage gestellt, wofür er zuständig sei. Herr Goos sagt, er leite die
Arbeitsagentur Altona, es gebe 16 Standorte in Hamburg.
Frau
Scheffel erzählt, es laufe im Jobcenter niemals richtig, rein gar nichts sei
dort in Ordnung. Die Mitarbeiter_innen verhielten sich, als ob sie sich für den
Chef hielten. Wenn sie z.B. keine Lust haben, ein Gespräch weiter zu führen,
legen sie mitten im Telefonat einfach auf. Die Mitarbeiter_innen dort benehmen
sich unmöglich. Das müsse man verbessern. Sie verhalten sich, als ob sie
Bewilligungen aus eigener Tasche bezahlen müssten. Sie stellen sich stur und
legen ein unverschämtes Benehmen an den Tag.
Der
Moderator erwidert, diese Aussage sei zu pauschal.
Herr
Goos sagt, er könne diese Aussage nicht nachvollziehen. Es gebe Schulungen,
laut einer Studie 3-3,5%; dies werde ständig verbessert. Sicher entstehe
im einen oder anderen Fall Unzufriedenheit, aber auf diese pauschale
Beschreibung könne man nicht eingehen.
Ein
Teilnehmer der Gesprächsrunde sagt, er habe grundsätzlich gedacht, der Antrag
sei eine vernünftige Sache, aber er kritisiert die Diktion. Hier seien so viele
verbale Angriffe enthalten, dass er dem so nicht zustimmen wolle. Es gebe
bereits einen Anspruch auf EGV und es sei sowieso gewünscht, dass ständig daran
gearbeitet werde, insofern wolle man das was hier mitschwingt,
mitnehemen, jedoch sei es ihm kein Anliegen, diesem Antrag
zuzustimmen.
Der
Modarator wiederholt Herrn Goos Worte, dass bei ihm dieser Antrag offene Türen
einrenne. Er fragt: Was könne Politik tun, um die Rahmenbedingungen für die
Mitarbeiter_innnen zu verbessern? – Antworten darauf könne man auf der
Bürgerschaftsebene weitertragen. Er möchte Herrn Goos dazu ermuntern, dies frei
auszusprechen. Wo sage er : „Das würde ich mir für meine Mitarbeiter_innen
wünschen?“
Herr
Goos antwortet, im Grunde sei ja alles geregelt. In den letzten zwei Jahren
würden die Mitarbeiter_innen permanent geschult, insofern sei eigentlich alles
in Ordnung.
Herr
Schneider merkt an, im Hinblick auf die Mitarbeiter_innen gehe es ja nicht um
den jeweiligen Menschen, der vor ihm sitze, sondern um das System, das diese
Verhältnisse schaffe. Frau Hannemann, die heute hier sei, könne gerne aus ihrem
Arbeitsalltag erzählen, wie es in Wirklichkeit im Jobcenter zugehe. Es gebe zum
Beispiel wohnungslose Kund_innen, die betreut worden seien, diesen habe man EGV
vorgelegt. Diese Leute sitzen auf der Strasse und haben damit wirklich ein
Problem! - Wenn man EGV Menschen vorlege, die nicht in der Lage seien, irgendetwas
zu unterzeichnen, müsse man sich fragen, welchen Zweck dies verfolge. Deshalb
gebe es diesen Antrag! Schliesslich solle dieser ja auch die Mitarbeiter_innen
schützen. Denn diesen werfe man ja anschliessend vor, sie würden weder
informieren noch beraten! In der momentanen Situation könnten die
Mitarbeiter_innen die Kund_innen nicht schützen! Er finde es schade, dass dies
hier abgestritten werde, Frau Hannemann könne gerne aus der Realität erzählen.
Er wiederhole nun noch einmal: es gehe hier auch um die Mitarbeiter_innen! Es
reiche nicht, allein Informationsbroschüren auszulegen!! So, wie Herr Goos das
ausdrücke, finde das definitiv regelmäßig nicht statt.
Es
wird die Frage gestellt, Herr Goos habe gesagt, dass die EGV auch abgelehnt
werden können: ob dies eine Tatsache sei. Herr Goos bejaht die Frage. Starker
Widerspruch aus dem Auditorium wird laut.
Ein
Teilnehmer der Sitzung fragt Herrn Goos, ob er und seine Mitarbeiter_innen
grundsätzlich auch zu ihren eigenen Kund_innen würden. - Das bundesweite Problem,
dass es in der Arbeitsagentur Mobbing gebe, sei ja bekannt. Mitarbeiter_innen
könnten ihre Aufgaben nicht ausreichend erfüllen, weil sie nicht langfristig
angestellt seien. Er fragt, wie viele Personen aus dieser Runde eigentlich
betroffen seien; wer bereits Leistungen des Jobcenters in Anspruch genommen
habe.
Herr
Meyer bemerkt, dass er dem Antrag im Prinzip zustimme, ihm jedoch die
Schreibtweise des Antrags nicht gefalle. Er selbst sei bereits Kunde der
Arbeitsagentur gewesen und habe dort keine Probleme gehabt. Dies habe wohl an
seiner eigenen Person gelegen. Er könne sich vorstellen, dass zahlreiche
Personen keinen Überblick über das Ganze hätten. Er habe viele Leute
kennengelernt, die längere Zeit arbeitslos gewesen seien und mit der Situation nicht
klargekommen seien. Es gebe viele, die sich nicht gut beraten gefühlt haben.
Eine
Teilnehmerin der Sitzung sagt, jeder Mensch habe ja Anspruch auf Beratung. Es
gehe nicht um Einzelfälle, es gehe um das ganze System. Der Antrag sei nicht
eindeutig und klar formuliert. Was sei damit gewollt? Wo solle die Reise
hingehen?
Ein
Herr aus dem Auditorium meldet sich. Der Moderator sagt, es gehe hier eben um
Diskrepanzen und weist darauf hin, dass noch zahlreiche weitere
Tagesordnungspunkte auf der Liste stehen. Nach einigem Zögern beschliesst er,
dass es zwei Minuten Zeit geben soll, um Leute aus dem Auditorium anzuhören.
Der
Herr aus dem Auditorium sagt, er wolle hier kein ausführliches Statement
abgeben. Er wolle nur sagen, dass Herr Goos habe von 3,5% gesprochen. Zu ihm
als Betroffener sei noch nie gesagt worden, dass eine EGV freiwillig sei,
sondern es sei ausnahmslos gesagt worden: „Unterzeichnen Sie mal.“
Frau
Hannemann sagt, es gehe nicht darum, Herrn Goos anzufechten, sondern diese
Sache sei ein Politikum. Es gehe ihr nie um die Kritik von
Einzelfällen. Nachweislich werden EGV per Post geschickt, um eine Quote zu
erfüllen. Sie könne jede/n Mitarbeiter_in nennen, der/die EGV per Post an
Leistungsempfänger_innen geschickt haben. Auch dass zuwenig Personal da sei,
sei ein Problem. Ausserdem seien es durchaus 300 zu betreuende
Kund_innen, sie selbst habe sogar bereits 452 gehabt. Hier müsse in der Politik
etwas getan werden, es dürfe nicht, wie geplant, Personalabbau stattfinden -
und man müsse als Mitarbeiter_in wirklich Zeit für die Leute haben, die man im
Moment ebenl nicht habe.
Herr
Schneider bittet um namentliche Abstimmung über den Antrag. Der Moderator
entgegnet, die Geschäftsordnung sehe namentliche Abstimmung nicht vor; das
müsse beantragt werden. Herr Schneider sagt, dann beantrage er diese jetzt. Der
Moderator verneint seinen Vorschlag: jetzt werde so abgestimmt. Zwei
Teilnehmerinnen der Runde bitten um zwei Minuten Beratungsbedarf, das wird
genehmigt. Der Moderator merkt an, Herr Goos könne gehen und wünscht ihm einen
schönen Abend.
Die
Abstimmung findet statt. Der Moderator fragt, ob jemand etwas dazu zu sagen
habe. Ein Vertreter der CDU sagt, er wolle die Intension weiter verfolgen, aber
er lehne den Antrag ab. Herr Schneider möchte etwas sagen, er wird
unterbrochen. Ein weiterer Teilnehmer sagt, die Richtung stimme, doch sie
lehnten den Antrag ab und denken über eine Alternative nach. Herr Schneider
wirft ein, dass man sich über die Formulierung des Textes gerne unterhalten
könne, es sei schön, wenn man über die Inhalte im Gespräch bleibe. Herr Meyer
sagt, er stimme dem Antrag nicht zu, doch wolle weiter an der Sache
dranbleiben. Frau Ak stellt die Frage, für wen der Antrag wichtig sei. Der
Moderator entgegnet, man sei nun mit der Sache fertig. Frau Ak erwidert, sie
verstehe dies wirklich nicht, die Frage bleibt unbeantwortet.
Alle
anderen stimmen dagegen.
Der
Moderator teilt den Besucher_innen im Auditorium mit, dass das Anliegen des
Antrags vielleicht von den Fraktionen aufgenommen werde, die Bezirksversammlung
habe das gleiche Ansinnen wie im Antrag formuliert. Sie könnten nun
selbstverständlich gehen, dürften auch bleiben, er dankt Herrn Goos."
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