Ein Aufruf des Medibueros Hamburg
http://medibuero-hamburg.org/de/demoaufruf-7-april-2014
Mit
Inkrafttreten des UN-Sozialpakts im Jahr 1976 hat sich die
Bundesrepublik Deutschland dazu verpflichtet, „für jedermann* im
Krankheitsfall den Genuss medizinischer Einrichtungen und ärztlicher
Betreuung sicher(zu)stellen". Trotzdem gibt es aktuell in Hamburg
tausende Menschen, die keinen Zugang zu Gesundheitsversorgung haben.
Gerade im letzten Jahr hat sich ihre Situation weiter verschlechtert.
Die Ursachen, warum viele Menschen in Deutschland keinen Zugang zum Gesundheitssystem haben sind unterschiedlich.
• Wer keine Arbeitserlaubnis hat, kann nur ohne Sozialversicherung arbeiten.
• Wer im Asylverfahren steht, hat nur stark eingeschränkten Zugang zu Gesundheitsleistungen.
• Wer keine Papiere hat, kann nicht einfach zur Ärzt_in oder im Notfall ins Krankenhaus gehen.
• Wer als Selbstständige_r pleite gegangen ist, ist ohne Versicherung.
Gesundheit
ist ein Menschenrecht, das unabhängig von Pass, Herkunft und Einkommen
besteht. Jeder Mensch muss uneingeschränkten Zugang zu
Gesundheitsversorgung haben.
Deshalb wollen wir am Weltgesundheitstag unsere Forderung nach Gesundheitsversorgung für Alle lautstark auf die Straße bringen
NOTFALLVERSORGUNG VON PAPIERLOSEN.
Im
Oktober 2013 hat das Bundessozialgericht (BSG, Urteil vom 30.10.2013 –
B7AY2/12 R) entschieden, dass die Sozialämter nicht mehr für die
Notfallversorgung von Menschen ohne Papieren aufkommen müssen. Das führt
dazu, dass die Krankenhäuser Menschen, die in einer medizinischen
Notlage sind, abweisen oder lediglich mit Schmerzmitteln behandeln.
BEGINN DES ASYLVERFAHRENS
Menschen,
die in Deutschland einen Antrag auf Asyl stellen, haben mit
Antragsstellung ein Recht auf medizinische Versorgung nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz. Seit circa einem Jahr erhalten
Antragssteller*innen in Hamburg ihre Versicherungskarte jedoch erst nach
Wochen oder Monaten; das bedeutet, dass sie in dieser Zeit ohne
Gesundheitsschutz sind und insbesondere Schwangere und psychisch Kranke
keine Fachärzt_innen aufsuchen können.
MENSCHEN OHNE GÜLTIGE PAPIERE
Menschen,
die ohne gültige Papiere in Deutschland leben, stehen ebenfalls
Gesundheitsleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu.
Beantragen sie jedoch beim Sozialamt einen Krankenschein, so ist dieses
verpflichtet (§87 AufenthaltsG), sie der Ausländerbehörde zu melden und
es droht ihnen die Abschiebung. Dies führt faktisch dazu, dass sie im
Krankheitsfall nicht zur Ärzt_in oder ins Krankenhaus gehen können.
ASYLBEWERBER*INNEN
Das
Asylbewerberleistungsgesetz gibt vor, welche Gesundheitsleistungen
Asylbewerber*innen zustehen. In der Realität bedeutet dies, dass nur ein
sehr eingeschränktes Leistungsspektrum gewährt wird. Vor allem, die
Behandlung von chronischen Krankheiten wie z.B. Krebsleiden, wird
zumeist verweigert. Eine solche Ungleichbehandlung ist nicht hinnehmbar.
BÜRGER*INNEN ANDERER EU-STAATEN
Viele
Bürgerinnen aus anderen EU-Ländern haben keine Krankenversicherung. Wer
im Krankheitsfall für ihre Behandlung aufkommt, ist nicht geklärt.
WIR FORDERN:
• Abschaffung des § 87 Aufenthaltsgesetz (Meldepflicht von Illegalisierten an die Ausländerbehörde)
• Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes – Integration in die Regelversorgung sofort ab Antragstellung auf Asyl
• Abschaffung diskriminierender Sondergesetze für Flüchtlinge
• Reguläre medizinische Versorgung aller hier lebender Menschen – unabhängig vom Aufenthaltsstatus und Herkunftsland
-----------
Dies ist der Bundesweite Aufruf des Medibueros
www.medibuero.de
Für eine reguläre Gesundheitsversorgung aller Menschen – unabhängig vom Aufenthaltsstatus!
Was
selbstverständlich sein sollte, ist es leider nicht: In Deutschland
haben viele MigrantInnen keine Krankenversicherung und keinen regulären
Zugang zu medizinischer Versorgung. Die Folge: Behandelbare Erkrankungen
entwickeln sich zu vermeidbaren Notfällen. Das ist ein Skandal und
stellt nicht nur die Betroffenen, sondern auch alle, die im
Gesundheitswesen tätig sind, vor große Probleme.
Aus ethischer
und menschenrechtlicher Sicht müssen alle PatientInnen die notwendige
medizinische Versorgung bekommen – was ist aber, wenn die Rechnung nicht
bezahlt werden kann? Die nötige Anschlussbehandlung unterbleibt? Das
Labor nicht abgerechnet werden kann und die Medikamente unbezahlbar
sind? Wenn gar eine Operation notwendig wird?
Die Politik lässt
das Gesundheitswesen mit diesen Problemen nicht nur alleine, sie hat sie
größtenteils überhaupt erst geschaffen. Dabei geht es um die Versorgung
von Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus, von Flüchtlingen im
Asylverfahren oder mit Duldung, sowie von EU-MigrantInnen ohne
Krankenversicherung.
Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus
haben faktisch keinen Zugang zur medizinischen Regelversorgung. Wenn sie
beim Sozialamt einen Krankenschein beantragen, ist das Sozialamt nach §
87 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) verpflichtet, die Ausländerbehörde zu
informieren. Im schlimmsten Fall droht dann die Abschiebung.
Wenn
sie im Notfall direkt ins Krankenhaus gehen, kann das Krankenhaus
versuchen, direkt mit dem Sozialamt abzurechnen – diese Daten sind dann
durch die ärztliche Schweigepflicht vor der Weitergabe an die
Ausländerbehörde geschützt. Das Krankenhaus muss dem Sozialamt gegenüber
jedoch die Bedürftigkeit der PatientInnen nachweisen – die dazu
notwendigen Nachweise können Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus in
der Regel nicht vorweisen.
Sie können in ihrer besonderen
Lebenssituation auch keine detaillierten Angaben über ihre
MitbewohnerInnen und UnterstützerInnen machen. Daher müssen die
Krankenhäuser fast immer auf die Abrechnung der KoLisa Bäuerlesten
verzichten und versuchen daher solche Behandlungen zu vermeiden. Dies
Dr. Regina Brunett führt zu einer strukturellen Unterversorgung, oft
unterbleiben nötige Untersuchungen und Behandlungen, teilweise mit
lebensgefährlichen Konsequenzen.
Flüchtlinge, die im
Asylverfahren sind oder geduldet werden, haben nach
Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) nur Anspruch auf reduzierte
medizinische Leistungen. Was diese Leistungen umfassen und ausschließen,
ist immer wieder Gegenstand von Auseinandersetzungen und führt nicht
selten zur Leistungsverweigerung. Dabei entscheiden SachberarbeiterInnen
der Sozialämter über die Notwendigkeit einer medizinischen Behandlung.
Aufgrund
eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts wird das AsylbLG gerade
überarbeitet – in diesem Zusammenhang sollten die medizinisch unsinnigen
Einschränkungen endlich gestrichen werden. Zumal die Lebensbedingungen
von Flüchtlingen aufgrund ausländerrechtlicher Bestimmungen ohnehin
psychosozial belastend und gesundheitsgefährdend sind:
Lagerunterbringung, Essenpakete, Arbeits- und Ausbildungsverbote,
Einschränkungen der persönlichen Mobilität durch die Residenzpflicht.
Bundesweit
protestieren Flüchtlinge gegen diese ausgrenzenden Lebensbedingungen.
Dabei haben sie durch lange Protestmärsche, monatelange Besetzungen und
Hungerstreiks, u.a. am Brandenburger Tor bei klirrender Kälte auch ihre
eigene Gesundheit aufs Spiel gesetzt. Dennoch reagiert die Politik auf
ihre Forderungen bisher mit kalter Ignoranz.
Die dritte Gruppe
von MigrantInnen ohne regulären Zugang zur Gesundheitsversorgung sind
EU-BürgerInnen insbesondere aus den neuen EU-Ländern, die oft weder in
Deutschland noch in ihren Herkunftsländern krankenversichert sind.
Während ein einheitlicher Rechtsrahmen für die europäischen Arbeits-,
Dienstleistungs-, Waren-, Kapital- und Finanzmärkte geschaffen wird,
stellt sich die sozialrechtliche Situation der innereuropäischen
MigrantInnen in der Praxis als uneinheitlich und komplex dar.
Der
Zugang zu medizinischen Leistungen und deren Finanzierung stellt
Beratungsstellen, Gesundheitsdienste und Krankenhäuser und öffentliche
Verwaltungen vor Fragen, deren Beantwortung umfangreiche Kenntnisse
europäischer Rechtsnormen und des nationalen Sozialrechts – in
Deutschland wie im jeweiligen Herkunftsland – erfordert. Die
Interpretation dieser Regelungen durch Beratungsstellen, Verwaltung und
Gerichte ist uneinheitlich und oftmals widersprüchlich. Die
Beschäftigten im Gesundheitswesen können diese Fragen am allerwenigsten
beantworten. Sie sind jedoch mit den Hilfe suchenden PatientInnen
konfrontiert und allein gelassen. Dies führt dazu, dass die medizinische
Versorgung oft mangelhaft und unzureichend ist.
Wir setzen uns für ein Gesundheitswesen für alle ein.
Wir fordern:
Abschaffung des § 87 AufenthG
Abschaffung des AsylbLG – Integration in die soziale Regelversorgung
Abschaffung diskriminierender Sondergesetze für Flüchtlinge
Reguläre medizinische Versorgung aller hier lebenden Menschen – unabhängig vom Aufenthaltsstatus und vom Herkunftsland
Unterzeichner_innen:
Organisationen:
Medico International
VDÄÄ - Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte
Medecins du Monde - Ärzte der Welt
IPPNW - Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges / Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.
Deutsche AIDS-Hilfe e.V.
Münchner AIDS-Hilfe e.V.
Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V. (AKF)
Fraktion Gesundheit in der Ärztekammer Berlin
Familienplanungszentrum Berlin -
BALANCE
Bayerischer Flüchtlingsrat
Flüchtlingsrat Berlin e.V.
Flüchtlingsrat Hamburg e.V.
Flüchtlingsrat NRW e.V.
Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e.V.
Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.
Flüchtlingsrat Brandenburg
Flüchtlingsrat Thüringen e.V.
Flüchtlingsrat Düsseldorf e.V.
Flüchlingsrat Mainz e.V.
Caritasverband für die Diözese Limburg e.V.
Medibüro Hamburg
Medinetz Bonn e.V.
Medinetz Freiburg
Medinetz Leipzig e.V.
Medizinische Flüchtlingshilfe Göttingen e.V.
Basisgruppe Medizin Göttingen
Medibüro Kiel
MediNetz Rhein-Neckar
Medibüro Lübeck
Medinetz Rostock
MediNetz Bremen
Medinetz Mainz
Medizinische Flüchtlingshilfe Hannover e.V.
Medizinische Flüchhtlingshilfe Bielefeld
Medinetz Dresden e.V.
Medinetz Jena e.V.
abed e.V. - Hilfe für Kinder in Burkina Faso
KLIK e.V. / Kontaktladen für junge Menschen auf der Straße, Berlin
Bündnis gegen
Rassismus
NEKABENE - Familien und Migrationsprojekt der AIDS-Hilfe Essen e.V.
Netzwerk Asyl Migration Flucht Dresden (NAMF)
Willkommensinitiative - Praktische Solidarität mit Flüchtlingen in Stadt und Landkreis Lüneburg
Projekt InteraXion - Anlaufstelle für Migrant_innen | antirassistische Bildung Treptow-Köpenick
Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi)
GLADT e.V. - Gays and Lesbians aus der Türkei
Kontakt- und Beratungsstelle für Flüchtlinge und MigrantInnen (KuB) e.V. - Berlin
Multitude Berlin
NGfP - Neue Gesellschaft für Psychologie
ARI Berlin - Antirassistische Initiative e.V.
Thüringer Bündnisse, Initiativen und Netzwerke gegen Rechts
Interkulturelles Frauenzentrum S.U.S.I. - Berlin
Netzwerk Flüchtlingshilfe-Menschenrechte e.v., Hannover
Initiative Ja zur Flüchtlingsaufnahme in Gransee
Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche e.V.
Borderline
europe - Menschenrechte ohne Grenzen e.V.
Amoro Foro e.V. - Berliner Landesverband von Amaro Drom e.V.
AG Kritische Mediziner der Uni Hamburg
Berliner Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP) / Ariba e.V.
respect Berlin
no lager halle
Antirassistische Netzwerk Sachsen-Anhalt
Infomobil Hamburg
Gesellschaft für türkischsprachige Psychotherapie und psychosoziale Beratung (GTP e.V.)
gASTWERKe e. V. Arbeits- und Lebensgemeinschaft in Escherode (Niedersachsen)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Jeder Kommentar wird von mir grundsätzlich freigeschaltet und veröffentlicht - solange es sich dabei nicht um rassistische, faschistische oder persönlich beleidigende oder herabsetzende Einlassungen handelt.