Autor Jan
Freitag kehrt der Hamburger Morgenpost den Rücken. In einem offenen
Brief wirft er Chefredakteur Frank Niggemeier Kampagnenjournalismus vor –
und zieht Konsequenzen: "Trotz der wirtschaftlichen Situation eines
Freiberuflers, der in der anhaltenden Zeitungskrise jeden Auftraggeber
bitter nötig hat, werde ich nie wieder für die Morgenpost schreiben."
journalist ONLINE dokumentiert den Brief – und die Antwort des
Chefredakteurs.
Sehr geehrter Herr Niggemeier, lieber Kollege, werter Auftraggeber,
ich
schreibe Ihnen als ehemaliger Praktikant, zwischenzeitlicher
Pauschalist und aktuell freier Autor der Hamburger Morgenpost. Zurzeit
arbeite ich zwar nur sporadisch für Ihre Zeitung, im Schnitt um die
zehnmal pro Jahr, tue es im Verlauf meiner journalistischen Laufbahn
aber doch stetig und wahrnehmbar. Jetzt aber muss ich diese
Zusammenarbeit beenden, und dabei ist es mit einer simplen Kündigung
nicht getan; es bedarf eines offenen Briefes, der zunächst Ihnen, nach
Abwarten einer Antwort aber auch Pressestellen, Berufsverbänden und
Medienredaktionen zugeht.
Die Hamburger Morgenpost hat mich als
Leser ebenso wie als Schreiber sozialisiert, seit ich Zeitungen lese.
Schon im Elternhaus gehörte sie zur Standardlektüre, auch nach dem
Auszug, während des Studiums, an anderen Wohnorten bin ich ihr treu
geblieben und nach Beginn des Online-Zeitalters auf Reisen bis hin nach
Kuba. In dieser Zeit habe ich sie stets gesucht, oft verflucht, aber nie
ganz verlassen. Doch jetzt ist diese Zeitung nicht mehr meine Zeitung,
weil sie keine Zeitung mehr ist, sondern ein populistisches Kampfblatt.
Das macht mich traurig, es macht mich aber vor allem wütend.
Als
diverse soziale Initiativen für den 21. Dezember 2013 zu einer
Demonstration gegen die örtliche Flüchtlings-, Sozial- und
Stadtplanungspolitik am Beispiel von Lampedusa, den Esso-Häusern oder
der Roten Flora aufgerufen hatten, hat die Mopo, wie auch ich Ihr Blatt
bislang fast liebevoll genannt habe, von Beginn an sämtliche Prinzipien
journalistischer Berichterstattung ignoriert, wenn nicht verraten und
somit eine Form des Kampagnenjournalismus formuliert, der selbst auf dem
Boulevard beispiellos ist.
Bereits im Vorfeld wurde diese
Demonstration nicht nur kompromisslos kriminalisiert; unter Ausmalung
unausweichlicher Gefahren für Leib und Leben rieten diverse Artikel bis
hin zur Titelgeschichte förmlich von der Wahrnehmung dieses
demokratischen Grundrechts ab. Als sie dann wie von der Morgenpost
insinuiert, man ist geneigt zu vermuten: wie gewünscht eskalierte, hat
Ihre Zeitung die Einseitigkeit in einer Weise verschärft, die jedem
Ethos unseres gemeinsamen Berufes Hohn spricht.
Ausnahmslos wurde
dabei die Sichtweise von Polizei und Senat verbreitet. Zahllose Artikel
zum Thema suchten die Alleinschuld jeglicher Gewalt bei den
Demonstrierenden, die Ihrer Diktion gemäß durchweg "Chaoten",
"Randalierer" oder "Autonome" waren. Verletzte, Opfer, Rechtschaffenheit
gab es aus Redaktionsperspektive über Tage hinweg einzig auf Seiten der
Ordnungskräfte, die sich demgemäß keinerlei Verfehlungen schuldig
gemacht hatten. Quellen dieser Inhalte waren bis auf die persönliche
Wahrnehmung Ihrer Reporterinnen und Reporter vornehmlich behördliche und
SPD-Verlautbarungen. Als andere Medien einen Polizeisprecher mit dem
Eingeständnis, mehrere Falschmeldungen bei einem bislang unbelegten
Angriff angeblicher Ultras des FC St. Pauli auf eine Polizeiwache – den
die Morgenpost nie infrage gestellt hat – zitierten, ging die Morgenpost
dieser Frage nicht nach. Stattdessen durfte die Mutter zweier Kinder
auf dem Deckblatt unhinterfragt einen Mordversuch seitens der
Demonstrierenden formulieren, wozu Sie das ehernste Prinzip des
Journalismus gebeugt haben: beide Seiten zu hören. Die ersten
ansatzweise einsatzkritischen Zeilen zu den Vorkommnissen erschienen
nach Tagen im Grundton des Zweifels an der Kritik und denen, die sie
äußern.
Die Morgenpost hat also keinen Journalismus betrieben,
sondern Regierungsverlautbarung. Sie hat nicht berichtet, informiert und
analysiert, sondern gemutmaßt, polemisiert und, wäre dieser Begriff
pressehistorisch nicht so verunreinigt, müsste man sagen: gehetzt. In
einer unseligen Vermengung von Meinung und Nachricht wurde die Suche
nach der Wahrheit bis hin zur bewussten Fehlinformation missachtet und
somit alles, was mir als Journalist lieb und teuer ist – Handwerk,
Moral, Ausgewogenheit und Objektivität – so vorsätzlich mit Füßen
getreten, dass ich mich nicht nur schäme, je für die Morgenpost tätig
gewesen zu sein; nein – ich schäme mich, den gleichen Beruf zu haben wie
jene Kolleginnen und Kollegen, die ihr journalistisches Gewissen für
die nächstbeste Kampagne opfern. In vergleichbarer Weise verfährt Ihr
Blatt regelmäßig – wenn es um "Radrüpel" geht, Fußballfans oder die
Drogenpolitik. Nie zuvor jedoch hat die Morgenpost mutwilliger Politik
statt Journalismus betrieben als rund um den 21. Dezember.
Trotz
der wirtschaftlichen Situation eines Freiberuflers wie mir, der in der
anhaltenden Zeitungskrise jeden Auftraggeber bitter nötig hat, werde ich
daher nie wieder für die Morgenpost schreiben, schreiben können. Das
bin ich mir, meiner Würde, diesem wundervollen Beruf schuldig, das bin
ich allerdings auch jenen Menschen schuldig, denen als Autor Ihrer
Zeitung in die Augen zu blicken zusehends schmerzhaft wird. Und das sind
eine Menge, mehr als Ihnen lieb sein dürfte, ja selbst in Ihrer eigenen
Redaktion schämen sich nicht wenige für das, wofür ihr Arbeitgeber
steht, wie mir persönlich versichert wurde. Ich wünsche Ihnen also ohne
mein Zutun, sehr geehrter Herr Niggemeier, lieber Kollege und werter
Auftraggeber, dass Sie und Ihr Team vorurteilsfrei zurückblicken, kurz
innehalten und in sich gehen, ob das der Beruf ist, den Sie erlernt
haben, den Sie vermutlich so lieben wie ich, den auch Sie einmal im
Gefühl gesellschaftlicher Verantwortung ausüben wollten.
Ihre
Zeitung war mal ein liberales Qualitätsblatt, es hat große Zeiten erlebt
und schwere, große Journalisten herausgebracht und gewöhnliche. Mit dem
derzeitigen Kurs setzen Sie dies alles nicht bloß aufs Spiel – Sie
negieren es geradezu, verleumden seine Vergangenheit und damit sich
selbst. Mit Ihrem Kurs schädigen Sie somit die gesamte Branche und
machen sich mitschuldig am Niedergang des gedruckten Wortes.
Bitte
kehren Sie um, lieber Herr Niggemeier, aber tun Sie es ohne mich. Ich
freue mich auf eine Antwort, aber sie wird an meinem Entschluss nichts
ändern. Das mag Ihnen gleichgültig sein, für mich ist es substanziell,
um diesem Beruf weiterhin nachgehen zu können.
Mit hoffnungsvollen Grüßen,
Jan Freitag
Hier die Antwort von Niggemeier
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